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B*** mir einen, Du F***e!

 
Ukraine-Nothilfe
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Ein langer Tag liegt hinter uns - da gehts nochmal richtig zur Sache beim Fasching in Astheim. Auf einen am Boden Liegenden wird eingeschlagen und -getreten, bis wir eingreifen. Doch dankbar ist der junge Mann uns nicht. Ganz im Gegenteil ...


Warum Helfen nicht immer Spaß macht

ASTHEIM (ml). Es ist mittlerweile mitten in der Nacht. Der Umzug ist beinahe schon vergessen, noch immer sind alle beteiligten DRKler erstaunt über die Plötzlichkeit, mit der der Großeinsatz erforderlich wurde, und einem Teil der Gesichter sieht man bereits an, daß sie über einiges, was an diesem Tag passiert ist, noch einmal nachdenken werden.

Der ACA hat dankenswerterweise eine Runde Pizza spendiert. Kurz bevor sie eintrifft, müssen wir mit dem Rettungswagen 99/83 ein weiteres Mal in die Klinik. Ein ziemlich junger Mann, natürlich ist die Ursache einmal mehr der übermäßige Alkoholkonsum. Auf dem Weg ins Krankenhaus versucht er mehrfach, sich zu übergeben, hängt zum Schluß einfach den Kopf in die Nierenschale und schläft ein. Wir wecken ihn mehrfach, bis wir in der Klinik sind. In der Notaufnahme empfängt man uns mit leicht gestreßtem Blick. Wir haben Glück - die Fahrzeugbesatzungen vor uns berichteten von langen Diskussionen über die Frage, warum wir denn genau in dieses Krankenhaus fahren mußten und nicht in das andere ...

Wir sind bemüht, die Spannung nicht noch weiter ansteigen zu lassen, und helfen beim Umbetten des Patienten, assistieren noch zwei Mal, während der Patient erbricht, und verabschieden uns dann.

Zurück am Bürgerhaus stellen wir fest, daß einige Kollegen die von uns bestellte Spezialpizza (extra scharf) verwechselt und bereits zur Hälfte gegessen haben. Macht nix - Pizza Hawaii ist ja auch lecker ... An den brennenden Lippen der KollegInnen fühlen wir uns aber nicht schuldig.

Nach dem Essen heißt es "Zelt abbauen". Die übliche Routine - Material einpacken, in der vorgeschriebenen Reihenfolge in den Gerätewagen verladen, Zelt auskehren, Beleuchtung und Heizung abbauen und verstauen, Luft absaugen, Zelt zusammenlegen - verläuft ohne Zwischenfälle.

Bevor wir jedoch den fertigen Packsack in den Gerätewagen wuchten können, ruft irgendjemand etwas von einer Schlägerei. Zwei Kollegen streifen sich bereits Gummihandschuhe über und ergreifen einen Notfallkoffer, bewegen sich vorsichtig in die Richtung des Tumults. Dann sind die Streitenden auch zu sehen: Einer der Kontrahenten ist bereits zu Boden gegangen, der andere ist in gebückter Haltung neben ihm, schlägt immer wieder mit angewinkeltem Arm hart und brutal auf den Liegenden ein. Um die beiden herum feuert eine Meute das Ganze an. Mein Puls geht schneller. Eines der Dinge, die man als Rotkreuzhelfer in den zahlreichen Ausbildungen immer wieder gesagt bekommt: Der Eigenschutz geht vor. Man begibt sich nicht in direkte Gefahr, weil man dann unter Umständen niemandem mehr helfen kann, sondern selbst zum Hilfsbedürftigen wird, andere Einsatzkräfte bindet, die dringend gebraucht würden. Die Maßgabe bei einer Schlägerei ist also: Halte dich raus, warte, bis das Schlimmste abgeklungen ist, und hilf dann den Beteiligten.

Der junge Schläger vor mir hat vom Prügeln genug, geht nun dazu über, auf den Liegenden einzutreten. Immer wieder landen Tritte in Bauch, Unterkörper, den Nieren. Mir reicht es. Ich brülle den Schläger an, renne auf ihn zu. Nur kurz denke ich darüber nach, was wohl passiert, wenn sich jetzt die ganze Meute auf mich stürzt anstatt auf den hilflosen Verletzten. Dann springen die jungen Kerle auseinander. Der Schläger schreit mich an, erzählt etwas davon, daß der andere ja seinen Bruder angegriffen habe. Ich erwidere - immer noch schreiend - daß mir das egal ist, daß man einen Liegenden nicht tritt.Mittlerweile hat das Opfer sich wieder aufgerappelt. Zahlreiche Schnitte und eine Platzwunde im Gesicht lassen Blut über das T-Shirt laufen, aber der junge Kerl hat nur eines im Sinn: Sich rächen. Wie in einem schlechten Film umkreisen die beiden einander, angefeuert von der einen Hälfte der Umstehenden, die andere Hälfte versucht, die Situation zu beruhigen. Ein Kollege erzählt, daß die Polizei unterwegs ist.

Nach und nach klingt die Aggression ein wenig ab, der junge Mann läßt sich widerstrebend zum Rettungswagen führen, weigert sich aber einzusteigen. Nach einer kurzen Diskussion wendet er sich ab und verschwindet. Mit einem Mal taucht aus allen Richtungen Polizei auf. Die Lage hat sich längst beruhigt, man erkundigt sich, was vorgefallen ist, erhält den Hinweis auf die Fluchtrichtung der Streitenden, und nur kurze Zeit später sehen wir den jungen Mann wieder am Rettungswagen, dieses Mal in Begleitung zweier Polizisten. Wir erklären ihm, daß er im Krankenhaus auf innere Verletzungen untersucht werden muß. Er will nicht, spricht von Freiheitsberaubung, verlangt, seinen Anwalt anrufen zu dürfen. Dr. Knut Marder erläutert der Polizei und dem Verletzten, daß es ein Risiko ist, ihn ohne Untersuchung gehen zu lassen, daß die Untersuchung nur im Krankenhaus durchgeführt werden kann, und daß wir das Risiko nicht auf uns nehmen können, ihn ohne Untersuchung gehen zu lassen.

Der junge Mann wird ausfällig. Idioten sind wir und schlimmeres. Er will nur nach Hause, zu seiner Freundin. F***** will er, sonst nix, und dann wendet er sich an eine unserer Rettungsassistentinnen: "Bl** mir doch einen, Du F***e!"

Wir entscheiden uns, daß es besser ist, wenn er von zwei Männern ins Krankenhaus begleitet wird. Die Kollegin verläßt das Fahrzeug, die Polizei erklärt, daß sie uns folgen werden und wir sofort anhalten sollen, wenn der Patient Schwierigkeiten macht.

Netterweise verzichtet der Mann während der gesamten Fahrt darauf, uns körperlich anzugreifen. Verbal hält er sich indessen nicht zurück. Ich "Neger" soll ihm was zum Blutabwischen reichen, als ich es tue, will ich mich seiner Ansicht nach "einschleimen".

Ob ich das hier beruflich mache, will er wissen.

"Nein", erwidere ich.
"Aha, nebenberuflich?"
Wieder schüttle ich den Kopf. "Nein, ehrenamtlich."
"Ehrenamtlich also?" Er holt grinsend Luft. "Gut, das war jetzt hier Dein letzter Abend. Ab morgen bist Du gar nix mehr, dafür sorge ich". Ich erfahre, daß er "prominent" ist, schon drei Polizisten in einer anderen Stadt hat vom Dienst suspendieren lassen. Ganz wichtig ist er, und wir alle können uns warm anziehen wegen dem, was wir ihm hier bieten. Idioten sind wir sowieso.

Endlich sind wir in der Klinik. Wieder die Notaufnahme, aber ein anderes Team. Eines, das unsere Schilderung des Unfallherganges nicht hören will, stattdessen an die HNO-Abteilung verweist wg. der Schnittwunden im Gesicht. In der HNO-Abteilung wundert man sich, weil der Grund für die Einlieferung ja der Ausschluß von inneren Verletzungen ist, aber der Bereitschaftsarzt scheint endlich jemand zu sein, den der junge Mann akzeptiert. Er verlangt, gehen zu dürfen, läßt sich über die Risiken belehren, unterschreibt einen Zettel, daß er auf eigenen Wunsch von einer Untersuchung absieht, und wünscht uns noch einen "beschissenen Abend". Dann verschwindet er - zunächst in die falsche Richtung.

Wir kehren ins DRK zurück, mittlerweile ist der Einsatz beendet. Kopfschüttelnd lassen wir das Ganze noch einmal Revue passieren. Die vielen jungen, teilweise erst fünfzehnjährigen Alkohol-Konsumenten, die wir vor uns hatten, die Schnelligkeit und Aggressivität, mit der getrunken wurde, die Unverschämtheiten, die sich manch ein Kollege anhören mußte. "Ihr seid doch eh alle voll", unterstellt man einem Team, während es eine Schnittwunde verarztet. Hohn und Spott, weil wir Dienst tun, anstatt uns zu besaufen, sind ebenfalls an der Tagesordnung. Den Abschluß bildet dann der junge Mann, der Gegenstand dieses Berichtes war. Kein Wunder, daß manch einem das Lachen vergangen ist an diesem Tag. Aber wir alle haben einmal mehr gesehen, wie wichtig es ist, daß wir tun, was wir tun. Und dieses Wissen gibt uns das Lachen irgendwann wieder. Bis zum nächsten Mal.